Präzisionsonkologie: Diese Mutationen sind wichtig bei CLL

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Die Behandlungsmöglichkeiten der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Das hat vor allem damit zu tun, dass die moderne Medizin die Erkrankung immer besser versteht. Dadurch wird es letztlich möglich, Therapien bei Patient:innen immer individueller und maßgeschneiderter anzuwenden – und das mit Hilfe der sogenannte Präzisionsonkologie. Aber wie funktioniert das im Einzelnen? Darum geht es in diesem Artikel.

 

Was heißt eigentlich Präzisionsonkologie?

Es gibt keine zwei identischen Krebserkrankungen. Jede/r Patient:in ist einzigartig, und jede CLL verläuft individuell.

Bei der Präzisionsonkologie, auch personalisierte Onkologie genannt, geht es nun darum, die Besonderheiten der jeweiligen Krebserkrankung zu erkennen. Dazu nehmen Mediziner:innen die molekularen Eigenschaften der Krebszellen in den Fokus. Das heißt, sie untersuchen, welche genetischen Veränderungen (Mutationen) an den Erbinformationen bei den Krebszellen vorliegen. Dadurch wird es möglich, bestimmte Prognose-, bzw. Risikofaktoren zu erkennen.

Wieso mutieren Krebszellen?

Genetische Veränderungen bei Krebszellen sind nichts Ungewöhnliches.

In gesunden Zellen sorgen Reparaturmechanismen dafür, dass Schäden an der Erbinformation meist schnell repariert werden. Diese Prozesse funktionieren in vielen Krebszellen nur unzuverlässig.

Daher weisen viele entartete Zellen eine besonders hohe Rate von genetischen Veränderungen auf.

Nicht jede Veränderung der Krebszellen hat Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung, einige aber schon. Und bestimmte Mutationen und andere Veränderungen im Erbgut kommen bei Krebszellen immer wieder vor. Speziell auf diese Besonderheiten richtet sich das Interesse der Mediziner:innen im Zusammenhang mit der Präzisionsonkologie.

Denn bei einer Reihe von Mutationen und anderen Erbgutveränderungen der Krebszellen ist mittlerweile erforscht, wie diese sich auf die Entwicklung der Erkrankung auswirken können.

Vorteile der Präzisionsonkologie

Kennen Mediziner:innen die möglichen Auswirkungen von Mutationen und anderen Veränderungen bei Krebszellen, kann ihre Diagnose und die Abschätzung des wahrscheinlichen Krankheitsverlaufs genauer werden. Das erlaubt den Ärzt:innen gegebenenfalls eine bessere, auf die jeweilige Person maßgeschneiderte Therapieempfehlung vorzuschlagen.

Es ist denkbar, dass Therapien dann viel präziser individuell angepasst werden können.

Unnötige Behandlungen können möglicherweise vermieden werden. Zum Beispiel könnte bei bestimmten Krebsarten auf eine Strahlentherapie verzichtet werden, wenn anhand der Veränderungen der Krebszellen sehr wahrscheinlich ist, dass sie wenig ausrichten wird.

Durch wen wird Präzisionsonkologie betrieben?

Voraussetzung für die Anwendung von Präzisionsonkologie ist, dass Proben mit Krebszellen in darauf spezialisierten Laboren auf ihre genetischen Besonderheiten wie Mutationen hin untersucht werden. Die so gewonnen Informationen können von Mediziner:innen diverser Fachrichtungen genutzt werden.

Präzisionsonkologie wird in der Regel in interdisziplinären Teams betrieben. Je nach Krebsart könnten darin neben Onkolog:innen auch Chrirurg:innen, Radiolog:innen, Fachärzt:innen für Strahlentherapie und Ärzt:innen aus anderen Fachrichtungen vertreten sein.

 

Präzisionsonkologie bei CLL: Welche Mutationen können wichtig werden?

Auch bei der Behandlung der CLL kommt die Präzisionsonkologie zum Einsatz. Im Mittelpunkt des Interesses der Mediziner:innen stehen dabei die B-Zellen, die bei einer CLL entarten. Bei ihnen können viele Mutationen vorkommen. Als gesicherte Prognose- bzw. Risikofaktoren für den Verlauf der CLL können unter anderem die folgenden Mutationen dienen:

IGHV-Status

Gene gesunder weißer Blutkörperchen vom Typ der B-Zellen verändern sich nach dem Kontakt mit einem Krankheitserreger, um sich bestmöglich an diesen anzupassen.

Besonders davon betroffen ist eine Genregion, die Forschende als „Variable Region der Immunglobulin-Schwerkette“ (auf englisch „Immunoglobulin heavy chain variable region“) bezeichnen, abgekürzt IGHV)

Bei einer CLL kann es bereits im Reifungsprozess der B-Zellen zu vielfachen Mutationen in dieser Genregion kommen – dann liegt ein sogenannter mutierter IGHV-Status vor.

Bleiben bei Menschen mit CLL diese Mutationen in den entarteten – noch unreifen – B-Zellen aus, spricht man von unmutiertem IGHV-Status

Meist nimmt die CLL bei Patienten mit unmutiertem IGHV-Status einen aggressiveren Verlauf und spricht schlechter auf eine Chemoimmuntherapie an.

TP53-Mutation und 17p-Chromosomen-Deletion

Das körpereigene Eiweiß p53 spielt eine wichtige Rolle beim Schutz vor Krebs. Wenn es intakt ist, hält es nach einer Erbgutschädigung die Teilung von Zellen mit schadhafter Erbsubstanz auf. Lassen sich die Schäden nicht reparieren, leitet das Eiweiß den Zelltod ein. Durch Veränderungen an den Chromosomen kann das Eiweiß gar nicht oder nur fehlerhaft hergestellt werden.

Möglich ist, dass dem Chromosom, auf dem bei gesunden Menschen die genetische Information für das Eiweiß liegt, genau dieser Abschnitt fehlt. Dann kann die Zelle kein p53 herstellen und man spricht von einer 17p-Chromosomen-Deletion.

Oder das Gen ist verändert und die Zelle kann das Eiweiß nur fehlerhaft produzieren. Fachleute nennen das eine sogenannte TP53Mutation.

Werden die entsprechenden Genveränderungen festgestellt, so können diese Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf und die Behandelbarkeit der CLL zulassen:

CLL-Betroffene mit 17p-Chromosomen-Deletion oder TP53-Mutation gelten als Hochrisiko-Patient:innen. Bei ihnen schreitet die CLL normalerweise rasch voran. Außerdem sprechen solche Patient:innen meist sehr schlecht auf Chemoimmuntherapien an. Daneben haben sie ein höheres Risiko für einen schnelleren Rückfall. Bei ihnen kann daher eine möglichst frühzeitige zielgerichtete Behandlung sinnvoll sein.

Komplexer Karyotyp

Treten in den Chromosomen der Krebszellen drei oder mehr Defekte – bei Größe, Form oder Anzahl – auf, liegt ein sogenannter komplexer Karyotyp vor.

Der komplexe Karotyp gilt als wichtiger Wert zur Vorhersage der weiteren Entwicklung der CLL und der Wirksamkeit bestimmter Therapien.

Dabei gilt: Je mehr Defekte in den Krebszellen auftreten, umso schlechter ist die Prognose. Für die Behandlungsteam ist der komplexe Karotyp daher ein wichtig Faktor bei der Entscheidung über die Therapie.

Wann wird der Mutationsstatus bei einer CLL erhoben?

Präzisionsonkologie wird für Menschen mit CLL erst dann ein Thema, wenn die Erkrankung aktiv wird und sich Symptome zeigen. Dann werden die entarteten Zellen im Labor auf ihre Besonderheiten hin untersucht. Je nachdem, ob eine TP53-Mutation / 17p-Chromosomen-Deletion vorliegt, ob es sich um einen komplexen Karyotyp handelt oder nicht und je nach IGHV-Status der CLL-Zellen ergeben sich verschiedene Behandlungsempfehlungen.

Der MRD-Status als Prognosefaktor

An weiteren Biomarkern, die Auskunft über Krebserkrankungen geben, wird geforscht. Ein Messwert, der gerade bei CLL-Therapien wichtig ist, ist die minimale Resterkrankung (MRD). Darunter versteht man die Zahl der nach einer Therapie noch nachweisbaren Krebszellen.

Es ist heute möglich, mit verschiedenen Methoden extrem minimale Mengen an entarteten B-Zellen nachzuweisen. Erst wenn weniger als eine CLL-Zelle auf 100 000 weiße Blutkörperchen kommt, ist ein nicht mehr nachweisbarer MRD-Status erreicht. Studien zeigen, dass sich mit dem MRD die langfristige Wirksamkeit von zielgerichteten Therapien bei einer CLL vorhersagen lässt.

 

Zusammenfassung

Bei der Präzisionsonkologie werden Veränderungen innerhalb der Krebszellen und weitere Messwerte wie der MRD analysiert. Die daraus gewonnen Informationen geben den Mediziner:innen bei der Therapie vieler Krebsarten – und auch der CLL – neue Möglichkeiten für maßgeschneiderte Behandlungen.

Wenn bestimmte Risiko- und Prognosefaktoren bereits früh entdeckt werden, kann frühzeitig eine Prognose zum Erfolg bestimmter Behandlungen erstellt und die Therapie oft entsprechend angepasst werden.

Auf diese Weise können unnötige, möglicherweise belastende Therapien vermieden werden. Auch steigt dann die Wahrscheinlichkeit, früh eine passende Therapie zu finden.